Manche Orte ziehen uns magisch an. Nachdem Kris vor einigen Wochen schon Leipzig auf den Kopf gestellt hat, haben wir uns nun von einem echten Leipziger durch seine Heimat führen lassen. Martin lebt und arbeitet dort als Fotograf und erzählt uns von seinen Projekten und seiner Perspektive auf die Stadt. Zudem gibt er uns nebenbei einige gute Tipps.
Hey Martin, du bist geborener Leipziger, und fühlst dich hier nach wie vor sehr wohl. Wird Leipzig aktuell zurecht gehyped? Was sind die tollen Dinge an Leipzig? Was ist richtig kacke? Erzähl uns mal ganz ungeschminkt von den Upsides und Downsides dieser Stadt.
Erst letztlich wurde ich gefragt,ob ich in Leipzig geboren bin und als ich diese Frage bejahte, schaute man mich mit ganz großen Augen an. Die Antwort war: „Wow, alle aus meinen Umfeld sind hergezogen“. Das hat mich nachdenklich gemacht. Die Stadt verändert sich derzeit sehr. An jeder Ecke wird gebaut, die Innenstadt sieht definitiv nicht mehr so aus, wie ich sie als Kind in Erinnerung habe.
Man hat auch das Gefühl, dass Leipzig ein Dauerthema in den Medien geworden ist. Wer Leipzig mit Berlin vergleicht, kennt entweder beide Städte nur sporadisch oder hat keine Ahnung, wovon er spricht. Schön finde ich, dass man immer irgendwie jemanden trifft, den man kennt. Man kann sich in ein Café in der Stadt setzen und schon sieht man bekannte Gesichter.
Wie ticken die Menschen in Leipzig?
Prinzipiell bin ich kein Fan von Verallgemeinerungen. Ich denke viele Menschen hier sind offen für neue Leute und sehr hilfsbereit.
Unser Eindruck war bisher offenherzig, freundlich und mit lustigem Akzent. Politisch scheint hier jedoch die Luft ein wenig aufgeladen.
Die Toleranz, die man hier oft offen auslebt (Wave Gothic Treffen zu Pfingsten usw.), ist Bestandteil der Stadt. Leider funktioniert die Instrumentalisierung der Menschen dennoch ganz gut. In der Nähe meiner Wohnung soll eine neue Moschee gebaut werden, eigentlich überhaupt kein Problem, aber die NPD versucht hier zu mobilisieren und das teilweise mit erschreckendem Erfolg.
Du selbst kommt ursprünglich aus der Gestaltung und hast darüber deinen Weg in die Fotografie gefunden, richtig? Du hast mal gesagt: „Ich habe irgendwann Photoshop aufgemacht und seither nie wieder geschlossen.“ Schöner Satz, wir wollen die volle Story.
Als ich mit 14 angefangen habe, mich für die Grafik, Photoshop und Webdesign zu interessieren, war es am Anfang eigentlich nur das ständige Ausprobieren. Irgendwann wurde daraus mein Ventil, dann mein Job. Später wollte ich keine fremden Fotos für meine Grafiken verwenden und so steigerte sich mein Interesse für die Fotografie ganz langsam, aber beständig.
Irgendwann war ich dann gelernter Grafiker und habe immer weiter Fotos geschossen. Dann kamen die ersten Anfragen für diverse Fotojobs, die ich über ein Nebengewerbe annahm. Vor 3 Jahren folgte dann der Schritt in die komplette Selbstständigkeit. Bisher habe ich keinen Tag bereut.
Machst du eher Auftragsarbeiten oder bist du auch als Fotokünstler tätig? Wie schaffst du die Balance?
Künstler ist für mich immer ein schwerer Begriff. Ich bilde nur ab, was schon da ist. Ein Künstler ist für mich jemand, der ein Gemälde einfach aus seinem Kopf entstehen lassen kann. Die Balance ensteht bei mir aus der Mischung von freien Projekten und Auftragsarbeiten. Bei Aufträgen ist man oft eingeschränkt und muss Vorgaben erfüllen, was auch selbstverständlich ist. Bei meinen freien Arbeiten versuche ich meine Ideen und Gedanken fotografisch umzusetzen. Das ist in dem Moment auch keine Arbeit mehr für mich, sondern Herzblut.
Du gehst mit den Leipzigern auch ganz gerne mal auf Tuchfühlung und schaust in ihren Schlafzimmern vorbei. Was hat es damit auf sich? Erzähl doch mal.
Du sprichst auf die Leipziger Bettgeschichten an. Mein Studiokollege Eric und ich hatten Ende letzten Jahres die Idee eines Fotoprojektes. Wir wollten in das Intimste der Leipziger eindringen und dort durch eine ungewohnte Perspektive die Schlafzimmer der Leute abbilden. Mittlerweile haben wir fast 50 solcher Bettgeschichten gesammelt. Dabei zeigen wir Studenten, Paare, Familien, Singles, Haustiere und Kleinkinder. Man bekommt die interessantesten Einblicke in die eigene Stadt.
Haben die meisten deiner Arbeiten einen engen Bezug zu Leipzig? Oder darf es gern auch mal das andere Ende der Welt sein? Wo gefällt es dir sonst noch auf diesem Planeten?
Leipzig ist meine Basis für alles was ich mache, hier lebe ich, hier arbeite ich, hier liebe ich. Trotzdem darf man sich als Fotograf nicht in eine Stadt einsperren. Ich reise sehr gern, auch mehrmals im Jahr. Ich war im Jahr 2012 und auch 2014 in Uganda und versuche dort dokumentarisch für ein Waisenhaus zu arbeiten. Ansonsten schaue ich mir natürlich gerne die Welt an. Im Oktober darf ich sogar meine erste Hochzeit in den USA fotografieren. Solche Jobs sind natürlich die absoluten Highlights.
Wir stehen hier auf dem Leipziger Wackelturm, welcher in der Tat ziemlich wackelig ist. Vorhin waren wir in deinem Fotoatelier, welches sich in einem wunderschönen Altbau im Waldstraßen-Viertel befindet. Sind das deine zwei Lieblingsorte?
Den Wackelturm habe ich erst letztes Jahr zum ersten Mal besucht. Viele Leute haben mir davon erzählt und irgendwann bin ich selbst hinmarschiert. Von da oben sieht man ganz gut, was Leipzig ausmacht. Eine flache Stadt mit enorm vielen Entspannungsmöglichkeiten.
Mein Gemeinschaftsstudio JAE-Leipzig ist ein guter Ort umkreativ zu sein – hier lerne ich neue Kunden kennen und kann aber auch mal ein komplettes Wochenende durcharbeiten. Trotzdem ist immer irgendwie was los. Eine Bekannte beschrieb es letztlich ganz treffend: „Sobald ich zu euch ins Studio komme, ist es irgendwie immer wie nach Hause kommen.“ – So fühlt es sich an.
Wo bist du sonst noch gern?
Ich entdecke sehr gerne neue Orte, die ich dann auch für meine Fotos nutzen kann. Das bedeutet, dass ich manchmal ziellos (am besten mit dem Fahrrad) in der Stadt herumfahre, um mir Inspiration zu holen. Gerade auch was das Leipziger Umland betrifft gibt es viel zu entdecken. Es gibt mittlerweile unzählige Seen in und um Leipzig, die gerade im Sommer gern genutzt werden. Ansonsten gibt es auch noch das Rosental, ein Park, der genau zwischen meiner Wohnung und dem Studio liegt. Dort kann man auch mal für umsonst in den Leipziger Zoo reinillern (zumindest sieht man wenn man Glück hat ein paar Flamingos). Für Konzerte sollte man immer mal im Conne Island oder im Werk II vorbeischauen.
Wo gehst du gern frühstücken?
Im Bacco 36 (Waldstraße 36) gibt es mein absolutes Lieblingsfrühstück. Ein kleiner Delikatessenladen, der auch Sitzplätze anbietet. Der Laden wird von einem Italiener betrieben und man merkt hier die Liebe zum Detail. Da der Laden relativ klein ist, sollte man vorher reservieren. Bestelltipp: Das Bacco-Frühstück. Alternativtipp: Café Albert
Wo gehst du abends gern mal essen?
Wer es deftig mag, sollte mal die Gohliser Wirtschaft im Leipziger Norden ausprobieren. Ansonsten gibt es einen Lieblingsgriechen (Mytropolis), Chinesen (Ginseng) und wer es orientalisch mag, sollte mal den Afghanen (Hindukusch) oder Libanesen (Beirut Night) ausprobieren.
Teile mit uns deine Lieblingsorte. Gern auch Orte, die etwas versteckter sind.
Wenn man auf Wasserpfeife steht, sollte man mal im Kö (neben dem Passage-Kino) vorbeischauen im Sommer ist das Tamarind zu empfehlen. Die Fleischerei ist eine schöne Bar auf der Jahnallee, wo ich ganz gerne mal ein Feierabend-Bier trinken gehe. Zum Feiern am Abend und zum Essen um die Mittagszeit bietet sich das Café Waldi an. Da ich sehr auf Vodka stehe, ist für mich die Vodkaria mindesten 3-4 mal Pflicht im Jahr.
Was muss man tun, um in Leipzig ein richtig gutes Wochenende zu verbringen?
Man sollte nicht zu viel planen. Leipzig lädt dazu ein,sich treiben zu lassen. Geht einfach die Karl-Liebknecht-Straße entlang und da wo es euch gefällt, setzt euch rein, trinkt ein paar Bier und zieht zur nächsten Bar. Mittags würde ich die Stadtteile Plagwitz, Connewitz und Gohlis erkunden. Wer etwas von der damaligen DDR-Plattenbau-Romantik sehen möchte, sollte sich Paunsdorf oder Grünau anschauen. Zum Feiern sollte man sich das Café Waldi, das Velvet oder die Distillery merken.
Wo kann man am besten herumlungern?
Plagwitz – ein ehemaliger Industrie-Stadteil von Leipzig – bietet immer eine Menge. Hier gibt es viele kleine Cafés, nette Ateliers, das Stelzenhaus und natürlich das Spinnerei-Gelände. Zweimal im Jahr findet das Westpaket auf der Karl-Heine-Straße statt – ein sehr alternatives Straßenfest.
Super Tipps! Wo findet man mehr Infos über dich bzw wie erreicht man dich?
Über meine Webseite, auf Facebook und natürlich auf Instagram.
Vielen Dank, dass du uns ein bisschen herumgeführt und von deiner Stadt erzählt hast! In unserem 25h Guide findet ihr weitere Leipzig-Tipps.
Anbei findet ihr noch ein paar sehr beeindruckende Bilder von Martin: