Ist schon komisch, wie man sich manchmal eigentlich schon am anderen Ende der Welt befindet, während der Kopf noch in Berlin beim Bäcker sitzt. So geschehen die letzten Tage in Bangkok, wo ich wie ein Zombie durch die wuseligen Strassen gewandert bin.
Gedanklich völlig woanders nehme ich die Umgebung kaum wahr. Fast so, als wäre ich nur mal eben mit der U-Bahn in den Wedding gefahren. Je mehr ich reise, desto häufiger erlebe ich dieses Phänomen und es gefällt mir nicht sonderlich. Zeit, etwas dagegen zu tun.
Dass die Seele beim Reisen etwas länger braucht um anzukommen, kennst du vielleicht aus eigener Erfahrung. Vielleicht hast du dir darüber aber noch keine Gedanken gemacht und es immer nur auf deinen Jetlag geschoben. In Wahrheit passiert da aber noch etwas anderes mit Körper und Seele, wenn man viele Tausend Kilometer im Flugzeug zurücklegt.
Macht ja auch Sinn: Eine Art Reizüberflutung für unser Hirn, welches bei der Verarbeitung nicht mehr hinterherkommt. Hinzu kommen Gedanken und Sorgen, die man noch von vor der Abreise im Gepäck hat. Plötzliche Veränderungen in allen Bereichen des Alltags.
Touristen, die einmal im Jahr für 2 Wochen eine Fernreise machen, haben dieses Problem nicht so sehr. Sie fliegen schon wieder zurück, bevor der Kopf überhaupt eine Chance hatte, hinterherzureisen. Die Touristen werden stattdessen vom Reiseadrenalin angetrieben. Mein Körper produziert dieses nur noch in sehr kleinen Mengen.
Herzklopfen und pure Vorfreude beim Eintreffen an einem neuen, unbekannten Ort? Kommt vor. Aber spätestens, wenn ich 3 Mal dort gewesen bin, tritt schnell Routine ein.
Das ist auch schön, ein Gefühl, als komme ich in ein zweites Zuhause. Aber es entsteht eben auch keine Euphorie, die einen sonst so leicht vergessen lässt, dass die Seele noch irgendwo überm schwarzen Meer im Gänsetempo hinterher fliegt.
Das folgende Zitat von William Gibson aus dem Science-Fiction Roman „Pattern Recognition“ bringt es auf den Punkt:
…her mortal soul is leagues behind her, being reeled in on some ghostly umbilical down the vanished wake of the plane that brought her here, hundreds of thousands of feet above the Atlantic. Souls can’t move that quickly, and are left behind, and must be awaited, upon arrival, like lost luggage.
Es gibt ein paar Wege, dir die Zeit so angenehm wie möglich zu machen, bis du wieder völlig zu dir selbst gefunden hast und richtig angekommen bist. Wenn du dich bei Reisebeginn auch manchmal wie ein Zombie fühlst, dann probiere mal die folgenden Dinge aus:
1. Erstmal ankommen
Lass Dir am Anfang Zeit. Plane nicht zu viel für die ersten Tage nach dem Langstreckenflug. Bleibe tagsüber wach, auch wenn du sehr müde bist, und gehe erst abends ins Bett, um den Jetlag schnell loszuwerden. Müdigkeit begünstigt depressive Verstimmungen.
Du wirst sehr müde sein, aber das ist okay. Gönn dir Zeit zum Ankommen und entspanne in den ersten 2 bis 3 Tagen. Wenn du von unterwegs arbeitest: Geh es langsam an!
2. Kontaktsperre
Freunde und Familie zuhause sind nur einen Anruf, einen Chat oder einen Skype-Call entfernt. Es ist verführerisch, Ihnen sofort Fotos zu senden, mit ihnen zu chatten und abends mal eben anzurufen. Aber das verschleppt den Prozess des Ankommens.
Gönn dir ruhig auch 3 oder 4 Tage Kontaktsperre und beschränke dich auf die obligatorische „Ich bin gut angekommen“ SMS. Man muss nicht ständig Kontakt halten. Lass das Smartphone mal in der Tasche.
3. Musik hören
Die richtige Musik hilft mir, gedanklich im „Hier und Jetzt“ zu bleiben. Wir neigen dazu, ständig auf gedankliche Zeitreise zu gehen, egal ob in die Vergangenheit oder die Zukunft. Um richtig Anzukommen hilft es sehr, den aktuellen Moment bewusst wahrzunehmen.
Dafür gibt es verschiedene Methoden. Manchen hilft Meditation. Andere konzentrieren sich bewusst auf Dinge in der Umgebung. Mir hilft gute Musik, während ich durch die Strassen laufe.
4. Länger bleiben
Wer langsamer reist, der hat ausreichend Zeit, erstmal anzukommen. Vor allem nach einem langen Flug ist es eine gute Idee, einige Tage oder gar mehrere Wochen am Ort zu bleiben, bevor man weiterzieht.
Ich bin im Übrigen ein großer Fan davon, sehr langsam zu reisen. Weniger ist mehr – das gilt in vielen Bereichen des Lebens, besonders beim Reisen. Meine Großmutter hat mir seit jeher eingetrichtert „alles im Maßen“ zu machen. Kommt aufs Gleiche hinaus.
5. Zug fahren
Nimm den Zug wann immer es geht. Man kann so die Strecke mitverfolgen, nimmt die Distanzen war. Flugzeuge sind oft schneller oder günstiger. Aber Züge haben noch viele andere Vorteile. Du kannst spannende Menschen treffen, siehst mehr, kannst herumspazieren und erlebst mehr.
Wenn ich an meine Zugfahrten auf Reisen denke, dann waren das oft die spannendsten Momente. Außerdem entstressen Züge einen zwangsläufig und man kann dort auch ganz gut schreiben oder kreative Dinge machen (solange man kein WLan benötigt).
Oh Danke lieber Tim für diesen wundervollen Artikel!
Ich dachte bisher es geht nur mir so
Letzte Woche Donnerstag bin ich aus Malaga zurück nach Deutschland gereist & erst seit gestern habe ich das Gefühl wieder ganz bei mir zu sein. Das ist schon immer wieder verrückt, ganz deutlich wahr zu nehmen, dass die Seele nunmal doch ihre ganz eigene ‚natürliche‘ Geschwindigkeit hat – egal wie schnell der Mensch (Körper) sich fortbewegt.
Da fällt mir ein … wie es dann wohl Astronauten geht – das wäre doch mal spannend in Erfahrung zu bringen:D
Ganz liebe Grüße & einen zauberhaften Start in die neue Woche,
Heike
xoxox
P.S. Noch ein paar Tipps von mir:
Ab in die Natur. Barfuß laufen. Sich erden. Wenn man mutig ist: Baum umarmen
Atmen. Innehalten. Augen schließen und sich auf den Ein & Ausatmen konzentrieren. Die Luft spüren, wie sie kühl durch die Nase einströmt & warm wieder ausströmt.
Für mich gibt es nichts wirkungsvolleres um im Hier & Jetzt anzukommen.
Vielleicht ja auch was für dich…
Danke Heike, auch für deine Tipps! Wenn ich mal einen Astronauten treffe, werde ich ihn fragen und ein Interview veröffentlichen. Versprochen!
Wunderbarer Artikel! Ein VW Bus ist zwar nicht so schnell wie ein Flugzeug, aber ich habe auf meiner Tour auch immer wieder gemerkt, wann es Zeit ist innezuhalten und sich mal wieder länger auf einen Ort einzulassen. Der Roadtrip war fürs Abenteuer-gen, das Ankommen und längere Verweilen für die Seele.
P.S.: Was tun, wenn man nach einer halbjährigen Reise zurückkommt und die Seele selbst vier Wochen noch später irgendwo im Bulli auf Europatour ist?
Danke Dir! Ich hoffe, deine Seele ist mittlerweile auch wieder im Allgäu eingetroffen
Ich würde sagen, sie ist nun immerhin schon an der deutsch-österreichischen Grenze
Toller Artikel!
Früher als ich klein war, musste ich immer dicke Krokodilstränen weinen, wenn wir irgendwo an einem neuen Ort angekommen sind, egal ob es mit meinen Eltern nur bis nach Holland oder doch weiter weg ging – vielleicht habe ich das damals intuitiver gespürt, diese unterschiedlichen Reisegeschwindigkeiten und konnte dieses Gefühl einfach noch nicht so schnell einordnen bzw. war davon einfach überwältigt. Heute versuche ich es eher wegzurationalisieren und wünschte manchmal fast, dass man Entfernung physisch fühlen könnte, weil ich es oft erschreckend finde, wie normal es sich auch anfühlen kann, wenn man gerade um die halbe Welt gereist ist
Früher fürchtete man ja, dass Menschen bei Geschwindigkeiten über 30 km/h das Gehirn platzen könnte – jetzt wissen wir, der Körper hält viel mehr aus, vielleicht müssen wir aber tatsächlich unserer Seele etwas mehr Aufmerksamkeit schenken
Danke Gina! Anscheinend platzt uns nicht das Gehirn, aber es ist zumindest hin und wieder ein wenig überfordert
Ein schöner Post, der mir voll und ganz aus dem Herzen spricht!! Genau diese Gedanken, wollte ich längst niederschreiben! Wunderbar, das muss ich nun gar nicht mehr, denn hier steht schon alles Schwarz auf Weiß!
Mein Tipp übrigens: Ein geistreiches Buch – mit echten Seiten zum Blättern, nix da mit iPad, Kindle usw. – auf die Reise mitnehmen (wie wär’s mit dem handlichen Taschenbuch „Slow Travel“?) und nach Ankunft gleich mal ein bisschen Yoga, um Körper und Seele zusammenzuholen! Bei mir wirkt das Wunder!
Danke Jeanette. Ich stimme dir voll zu, ein geistreiches Buch bewirkt Wunder. Wobei ich aber auch nix gegen Kindle einzuwenden hätte, ist ja kein klassischer Bildschirm. Yoga is bestimmt auch super, für jeden, der es mag. Meine Alternative dazu wäre in die Ferne zu starren und nichts zu tun. Einfach runterkommen und sich Zeit geben. Nicht immer leicht.