Um die Geschichte von Buenos Aires kennenzulernen, musst du nicht in ein verstaubtes Museum gehen oder dich durch irgendeinen Reiseführer quälen. Argentinier erzählen dir ihre Geschichte auf den Straßen. Politische Sprüche, Stencils, Street Art, Graffitis und riesige Wandbilder sprechen hier eine ganz eigene Sprache… du musst sie nur lesen lernen.
Argentinier sind ein sehr expressives Völkchen. Vielleicht mag es an ihren italienischen und spanischen Wurzeln liegen. Wenn sie sprechen, dann laut und leidenschaftlich… unterstrichen von ausladenden und wilden Gesten. Wenn sie sich für etwas begeistern, dann extrem enthusiastisch und emotional. Und wenn sie fluchen, tja, dann aber richtig. In einem argentinischen Taxi oder Fussballstadion kann man dabei schonmal ganz rote Ohren bekommen. Kein Wunder also, dass Argentinier die Straße schon immer genutzt haben, um ihre Meinung öffentlich kundzutun.
Seit den 50ern wird die Werbung für kandidierende Politiker in großen Buchstaben und in den Farben der jeweiligen Partei auf die Mauern der jeweiligen Städte gemalt. Während der Diktatur dienten ihnen die Straßen als Kanal, um die Unterdrückung der Menschen öffentlich anzuprangern. Aber auch Liebesbekundungen, Geburtstagswünsche, Texte von Fangesängen der Fussballvereine oder Zitate und Gedanken finden sich auf Hauswänden überall in Buenos Aires.
Wenn du an Street Art denkst, dann wird Buenos Aires vielleicht nicht die erste Stadt sein, die dir in den Sinn kommt. Und ja, die Szene hier ist im Gegensatz zu anderen Städten relativ jung und hat sich erst in den 90ern langsam entwickelt. Aber wie bereits am Anfang gesagt: Wenn Argentinier etwas machen, dann aber mit Leidenschaft!
Bunte Bilder gegen die Krise
Einer der dunkelsten Momente der argentinischen Geschichte begann mit der Finanzkrise im Jahr 2001. Von heute auf morgen verlor der Peso 75% seines ursprünglichen Werts. Ciao Dollar-Koppelung, Hola Inflation. Bankkonten wurden eingefroren. Pro Woche durfte nur noch ein geringer Betrag des plötzlich wertlos gewordenen Ersparten abgehoben werden.
Und in den Straßen zeigte sich, wie sehr Argentinier ihrem Unmut öffentlich Luft machen können. Die Wände füllten sich mit negativen Kommentaren und politischen Stencils. Die Straßen rund um den Kongress sind auch heute noch die beliebteste Leinwand für politische Statements.
Künstler, Designer und Architekten aus der Street Art Szene wollten dieser Negativität etwas entgegensetzen. Also fingen sie an, komplette Hauswände mit einfachen, bunten Charakteren zu bemalen. Sie wollten den Menschen um sich herum ihre Fröhlichkeit zurückgeben und ihnen im besten Fall mit ihrer Arbeit für einen kurzen Moment ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Idealismus in den schönsten Farben und Formen sozusagen. Und ganz klassisch mit Pinsel und Farbe gemalt, denn an’s Kaufen von Spraydosen war während dieser Zeit kaum zu denken.
Und es wirkte. Nachbarn kamen auf die Künstler zu und fragten nach Bildern für ihre Hauswände. In Buenos Aires braucht es im Gegensatz zu anderen Städten lediglich die Zustimmung der Hausbesitzer, um die Fassaden bemalen zu dürfen. Street Art ohne Erlaubnis ist zwar auch hier offiziell illegal, stößt bei den Einheimischen aber auf eine unglaubliche Toleranz und Unterstützung.
Hier kann es leicht passieren, dass sich die Nachbarn um die malenden Künstler versammeln, ihnen Mate anbieten, ihnen die Geschichten des Ortes oder seiner Bewohner erzählen oder Namen von verstorbenen Freunden oder Verwandten im Kunstwerk verewigt sehen möchten. In vielen Wänden entdeckt man versteckte Details mit einer tieferen Bedeutung und eine starke Verbindung zum jeweiligen Ort.
Wie beispielsweise das riesige Wandgemälde in La Boca, gleich hinter Caminito, auf dem zunächst das Fußballteam von La Boca angepriesen wird, sich dann Meter für Meter anderen Themen der argentinischen Geschichte zuwendet und am Ende den Einwohnern von La Boca gewidmet ist, die während der Militärdiktatur verschwanden und deren Mütter, die Madres de la Plaza de Mayo, noch heute für Gerechtigkeit kämpfen.
Oder das Werk von Jaz für das Meeting of Style Festival, dass er Teta und Salta, zwei getöteten Jungs aus dem Viertel, gewidmet hat. Oder die Wand von Gaia und Nanook, die auf der Fassade der Eisfabrik Ghelco in Barracas die Arbeiter ehren, die diese Fabrik nach der Finanzkrise mit eigenen Händen wieder aufgebaut haben.
Neugierige Engländer und der Start von graffitimundo
Dass diese Werke heute auch für uns Normalsterbliche zu sehen sind, ist vor allem der Arbeit von Marina Charles, Jonny Robson und Jo Sharff zu verdanken. Als sie 2008 aus England nach Buenos Aires kamen, begannen sie, die verschiedenen Viertel zu erkunden und waren sofort begeistert von all diesen Werken, die bis dahin meist nur die Einheimischen kannten.
Es mussten doch auch alle anderen erfahren, welche Street Art Schätze es hier in Buenos Aires zu sehen gab. Informationen zu den Künstlern und ihren Werken waren allerdings kaum zu finden. Also fragten sie Nachbarn, recherchierten weiter und lauerten darauf, die Künstler durch Zufall bei ihrer Arbeit zu erwischen. Mit Erfolg!
Zusammen starteten sie das Projekt graffitimundo und boten erste Street Art Touren durch Buenos Aires an, um mit dem Erlös die verschiedenen Künstler zu unterstützen und eigene Street Art Ausstellungen zu organisieren. Heute, sechs Jahre später, ist das Projekt weltweit bekannt. Die Werke von Jaz, Mart, Pastel, Ever, Nerf, Pum Pum, Tec und vielen vielen mehr schmücken Wände rund um den Globus. Im März eröffneten sie die Union Gallery für zeitgenössische und urbane Kunst in San Telmo, im nächsten Monat feiert ihr erster Dokumentarfilm White walls say nothing über die Street Art Szene in Buenos Aires Premiere.
Auch wenn die Touren durch Buenos Aires schon lange kein Geheimtipp mehr sind, solltest du sie dir nicht entgehen lassen. Denn Argentinier sind auch ein sehr offenes Völkchen. Und mit etwas Glück lernst du die Menschen hinter den wundervollen Werken gleich persönlich kennen. Und am Ende der Tour sitzt du vielleicht gemütlich bei einem Mate im Hinterhof der Post Bar und lässt dir diese ganze Geschichte nochmal in allen Einzelheiten erzählen. Mit wilden Gesten, versteht sich.
Wir danken graffitimundo für die wundervollen Touren durch Buenos Aires und sind schon sehr gespannt, welche großartigen Wände beim nächsten Mal in den Straßen von Buenos Aires zu sehen sind.
Ohh <3
Ich will jetzt auch dahin!
Tolle Sachen dabei!
Danke für's Teilen
Oh ja Jessie, du würdest hier definitiv mit Herzchen in den Augen rumlaufen